Die Chancen der FDP in der Ampel

Gerade einmal zwei Monate ist es her (8. Dezember 2021), dass die neue Regierung aus FDP, SPD und Grünen ins Amt kam. Seitdem arbeitet sie im Krisenmodus. Corona-Pandemie, Ukraine-Krise und massiv steigende Energiepreise halten sie in Atem und lassen ihr wenig Zeit, ihre Zukunftsprojekte in Angriff zu nehmen. Üblicherweise hat eine neue Regierung 100 Tage Zeit, bevor sie und ihr Handeln einer ersten kritischen Würdigung unterzogen werden. Doch die Dinge und die Öffentlichkeit sind nicht so und deshalb häufen sich die Stimmen, auch innerhalb unserer eigenen Partei, die nicht zufrieden sind.
Doch ist die Kritik damit schon berechtigt? Haben wir unsere Grundsätze aufgegeben, z.B. bei der Impfpflicht, bei der in allen Parteien unterschiedliche Auffassungen existieren, oder beim Mindestlohn, der faktisch in vielen Niedriglohnbereichen bereits überboten wird? Und welche für sie schwer verdaulichen Entscheidung im Koalitionsvertrag mussten die anderen beiden Partner akzeptieren – Rückkehr zur Schuldenbremse im kommenden Jahr, nein zu Tempo 130, um nur zwei zu nennen. Und wieviel Kritik ist nicht den aktuellen Krisen geschuldet, die z.T. geerbt sind oder außerhalb unseres unmittelbaren Einflusses liegen?
Es gehört zum Selbstverständnis einer jeden politischen Partei, die sich nicht auf den extremen Flügeln befindet, auch tatsächlich regieren zu wollen, wenn sich dazu die Möglichkeit ergibt. Mit SPD und Grünen hat die FDP in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Konstellationen bereits gute Erfahrungen gemacht, trotz aller Differenzen in vielen Einzelfragen.
Die FDP will gestalten, d.h. regieren. Das heißt, sich den gewaltigen Mühen der täglichen Kleinarbeit in Gesetzgebung und Verwaltungshandeln unterziehen. Dort ist man immer konfrontiert mit den Schwierigkeiten, Hindernissen und den Kompromissen der praktischen Politik. Reinheit der eigenen Forderungen gibt es nur in der Opposition, je unverfälschter und radikaler dies wahrgenommen wird, desto geringer der Einfluss. Das ist nicht die Position der FDP, die sich immer in möglichen Konstellationen als Regierungspartei sieht.
Es hilft auch nicht, der verflossenen Chance einer Koalition mit der Union hinterher zu trauern. Eine substanzielle Chance hierfür war nach der Bundestagswahl nicht vorhanden und kommt auch nicht wieder. Zumal das bedeuten würde, in einer 4er Konstellation mit der ewig profilierungssüchtigen und unzuverlässigen CSU zusammenzuarbeiten.
In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich die FDP im Koalitionsvertrag stärker eingebracht, als ihr nach dem Wahlergebnis zugekommen wäre. Das unterscheidet die heutige Situation fundamental von der vor vier Jahren, als der CDU/CSU und den Grünen es zu selbstverständlich erschien, dass die FDP in der Koalition mitmacht, als dass sie es für notwendig befunden hätten, der FDP auch inhaltlich entgegenzukommen. Damals haben wir aus guten Gründen entschieden, nicht zu regieren. Diesmal haben wir aus guten Gründen anders entschieden: wir wollen regieren. Jetzt gilt es, etwas Gutes daraus zu machen.
Deshalb sollten wir uns jetzt auf das konzentrieren, was geht. D.h. mit Optimismus das gemeinsame Ziel der Koalition „Mehr Fortschritt wagen“ in der täglichen Praxis umzusetzen.
Ein gemeinsames Projekt der Koalition ist die Soziale und Ökologische Marktwirtschaft, um eine nachhaltige Zukunft zu schaffen. Bereits seit 1981 ist diese Idee im Programm der Jungen Liberalen enthalten und inzwischen gehören ihre Grundsätze auch zum Programm der FDP. Über das Finanz- und Verkehrsministerium kann die FDP auf die Lösung der damit verbundenen Problemstellungen großen Einfluss nehmen und damit unsere Zukunft wesentlich mitgestalten. Und das ist nur eines von mehreren Feldern, auf denen die FDP in den kommenden Jahren viel Positives bewirken kann.
Schutz der Bürgerrechte und gesellschaftspolitischer Fortschritt, Realisierung des Aufstiegsversprechens durch Bildung, Digitalisierung, Verbesserung der Infrastruktur von Bahn und Straße und viele andere Themenfelder sind genug Themen für mehr als eine Legislaturperiode, für die die FDP gebraucht wird. Dafür haben wir eine tatkräftige Ministerin und drei entschlossene Minister, die – auch mit unserer Unterstützung – viel Positives werden bewirken können.
Frank Mario Stussig
Fotocredit: Bram, Tsvetoslav Hristov @Unsplash