Gedanken im Angesicht
zweier Landtagswahlen

Bei der Betrachtung der aktuellen Situation der FDP stellt sich ein diffuses Unbehagen ein. Die Umfrageergebnisse im Bund sind deutlich schlechter als das Ergebnis der Bundestagswahl. Auch die beiden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen brachten für die FDP schmerzliche Ergebnisse. Mit 6,4 % (nach 11,5 % im Jahr 2017) bei unseren nördlichen Nachbarn und 5,9 % (nach 12,6 % in 2017) in NRW haben wir in zwei Bundesländern, in denen wir in der Landesregierung waren, einen massiven Rückgang erlitten. In beiden Ländern haben die CDU und Die Grünen gewonnen, die SPD und die FDP haben jeweils deutlich verloren.
Hinzu kommt, in beiden Bundesländern hat die FDP in der Altersgruppe der über 60jährigen, bei den Beamten, den Selbstständigen und bei den Frauen überproportional verloren. Damit setzt sich ein Trend fort, der in den vorhergehenden Wahlen im vergangenen Jahr bereits sichtbar wurde, aber durch die allgemeinen Zuwächse verdeckt wurde.
Die Diskussionen in der Partei und in den Medien liefern die unterschiedlichsten Erklärungsversuche, u.a.
- Regieren bekommt uns nicht.
- Viele unserer Wähler mögen uns nicht mehr, da wir im Bund in einer Ampel und nicht mit der ursprünglich favorisierten Union regieren.
- Die Ergebnisse haben vornehmlich regionale Ursachen.
- Es gibt Schwächen der FDP in der aktuellen Bundesregierung.
- Die Kommunikation unserer Bundesminister ist schwach.
- …..
Diese Erklärungen sind meiner Meinung nach nicht falsch, aber sie greifen zu kurz und zeigen keinen Handlungsauftrag für die Zukunft. Insbesondere widmen sie sich nur der Frage, warum wir gerade jetzt so viele Stimmen verloren haben, aber nicht, warum wir in einigen Wählergruppen deutlich schwächer sind als in anderen, und das schon seit geraumer Zeit. Diese Fragen sind komplex und zweifellos nicht einfach zu beantworten. Ich will aber zumindest einige Facetten möglicher Antworten skizzieren.
Im Bund sind wir in der Regierung und das hat in der öffentlichen Wahrnehmung eine dominierende Bedeutung. Bei der Bewertung des Koalitionsvertrags wurde die FDP öffentlich als sehr erfolgreich wahrgenommen, mehr als manch anderem lieb war. Das jetzt versucht wird, im Angesicht sich ändernder Rahmenbedingungen nachzuverhandeln, ist Teil der üblichen politischen Auseinandersetzung und darf uns nicht stören. Stattdessen müssen wir erklären, und zwar immer und immer wieder, warum es gut ist, was wir ehedem ausgehandelt haben und was wir in der Gegenwart tun. Das gilt auch für die Bereiche, die uns wehtun, bspw. die öffentlichen Finanzen, wo wir gezwungen sind, mehr auszugeben als wir geplant hatten und als wir unter normalen Umständen für sinnvoll erachten.
Dass wir im Einzelfall jeweils um die beste Lösung in der Koalition ringen, ist hierzu kein Widerspruch. Aber die Opposition in der Regierung zu sein oder an allem herumzunörgeln, kommt bei dem Wähler nicht gut an. Wenn man Oppositionspartei ist, vor allem im Bundestag, ist das eine naheliegende Haltung. Aber nie, wenn man Regierungspartei ist. Dann muss man eine andere Tonlage und Diktion wählen und immer nach einer Lösung, einem Kompromiss mit den Koalitionspartnern suchen.
Und ein weiteres ist wichtig. Die FDP in der Regierung und im Bundestag, aber auch wir als Partei vor Ort, wir müssen aus dem hyperventilierenden Krisenmodus (Corona, Ukrainekrieg, Klima) wieder herauskommen. Auch wenn ein Teil der Medien dies aus Gründen des eigenen Markterfolgs immer wieder befeuern. Diese Probleme werden uns noch auf Jahre oder Jahrzehnte beschäftigen. Da kann es nicht schaden, ab und zu innezuhalten und sich auch mit anderen wichtigen Dingen in dem notwendigen Detaillierungsgrad zu beschäftigen. Dazu gehören u.a. Schutz der Bürgerrechte und gesellschaftspolitischer Fortschritt, Realisierung des Aufstiegsversprechens durch Bildung, Digitalisierung, Verbesserung der Infrastruktur von Bahn und Straße, soziale und ökologische Marktwirtschaft, um nur einige zu nennen.
Dies in der Öffentlichkeit zu vertreten, ist eine Aufgabe, die uns alle angeht. An jedem Infostand, in der Familie und im Freundeskreis und an allen anderen Orten.
Der zweite oben angesprochene Bereich erscheint mir ungleich schwieriger zu sein. Denn in ihm werden strukturelle und auch programmatische Defizite der FDP deutlich, die uns seit einigen Jahren verfolgen. Wir schaffen es nicht oder nicht mehr, bestimmte Gruppen in der Bevölkerung als Wähler in ausreichendem Maße anzusprechen: über 60jährige, Beamte, Selbstständige und überproportional Frauen aller Altersgruppen. Dafür sind wir bei anderen, insbesondere den jüngeren Altersgruppen, vornehmlich Männer, deutlich erfolgreicher.
Wir haben in den letzten acht Jahren bei unserer inhaltlichen Diskussion deutliche Schwerpunkte gebildet (Digitalisierung, Aufstieg durch Bildung, Innovation, Liebe zur Freiheit, …) mit denen wir in manchen Gruppen sehr erfolgreich waren. Der Erfolg an der einen Stelle hat uns nachlässig an anderen Stellen gemacht.
Wir haben unseren eigenen, sehr individuellen Freiheitsbegriff in Krisenzeiten zu wenig reflektiert und auf den Prüfstand gestellt, so dass wir das den Bürgern nicht immer ausreichend darlegen können. Auch haben wir Themen vernachlässigt, die für andere Menschen wichtig sind (Vereinbarung von Familie und Beruf, Absicherung der Rente, das angemessene Verhältnis von staatlichen zu privaten Aufgaben, etc.). Also muss sich unsere Programmatik zukünftig auch diesen Fragestellungen widmen. Und unsere Kommunikation muss zusätzlich auch die Gruppen adressieren, die sich bislang von uns nicht ausreichend angesprochen fühlen.
Das ist eine herausfordernde Aufgabe, die uns alle, jedes einzelne Mitglied und auch die gesamte Partei angeht. Diesen Auftrag müssen wir für uns annehmen, auch wenn es manchmal anstrengend und langwierig ist.
Können wir das? Na klar können wir das! Wir haben auch schon andere schwere Zeiten erfolgreich bewältigt. Am Ende werden wir uns auch zukünftig an stabilen, zweistelligen Wahlergebnissen erfreuen können. Denn zu guter Letzt liegt die Wahrheit in der Wahlurne.
Frank Mario Stussig
Fotocredit: Mika Baumeister @Unsplash